06.01.2023 – Make or break

Im Jahr 2023 feiert Wir lernen weiter das dreijährige Bestehen. Im Interview erläutert Geschäftsleiter Tobias Schär, auf was es in den kommenden Monaten ankommt: Und wie der Verein mittel- bis langfristig bestehen kann.

Geschäftsleiter Tobias Schär bei einem Workshop zum Thema «Social Entrepreneurship»

Der Verein konnte im letzten Jahr rund 3’200 Laptops an Armutsbetroffene in der Schweiz weitergeben. Mittlerweile wurden innerhalb von weniger als drei Jahren über 6’500 Laptops vor dem Elektroschrott gerettet, aufbereitet und an Armutsbetroffene weitergegeben werden. Dies wurde in Zusammenarbeit mit mittlerweile über 900 Gemeinden, fast allen Deutschschweizer Kantonen und Hilfswerken, ermöglicht.


Erfolgreiche Bilanz für 2022

Diese ungeheure Menge an technischen Maschinen, die den Weg von einer Spende zur neuen Perspektiven durchlaufen wäre aber schon lange nicht mehr ehrenamtlich möglich. Schär darf mittlerweile auf vier weitere Mitarbeitende, einen Praktikanten und einige Freiwillige zählen, die täglichen helfen, die Vision des Vereins weiterzutragen.

Mit jedem Vereinsjahr schaffen wir mehr Verständnis dafür, dass die Digitalisierung halt nicht nur Wirtschaft und Verwaltung betrifft, sondern auch die Gesellschaft.

Tobias Schär, Gründer und Geschäftsleiter

Im Jahr 2022 durfte der Verein für seine Arbeit mit dem SDG-Award des Swiss Green Economy Symposium ausgezeichnet werden. Zudem wurde das Team für den Prix Jeunesse nominiert, bei dem ein Podestplatz erreicht wurde. Zahlreiche Workshops bei Unternehmen und Gastreferate an Hochschulen zeigen, dass das Potenzial von wLw für viele greifbarer wird. «Dies ist auch wichtig, denn alleine schaffen wir es nicht, den digitalen Graben zu schliessen», so Schär.

Das wLw-Team empfängt dankend den SDG-Award 2022

Vollumfänglich helfen

Wer viele Laptops verteilt, sammelt auch viele Erfahrungen über die Benutzenden: Nicht aber durch Datensammlung (auf welche wLw strikte verzichtet), sondern aufgrund von Rückmeldungen und Fragen. Für das Team erschliesst sich immer mehr ein Zusammenhang zwischen Armut und fehlenden digitalen Grundkompetenzen.

«Wer ein Werkzeug erhält, muss grundsätzlich auch wissen, wie ein solches Werkzeug zu bedienen ist – ansonsten entsteht wenig bis kei Nutzen», sagt Schär hierzu. Aus diesem Grund hat sich wLw dazu entschieden per 2023 eine eLearning-Plattform aufzugleisen, mit welcher interaktive und kurzweilige Lerninhalte bereitgestellt werden. Ziel ist, dass diese Lerninhalte in bestehende, physische Kursangebote aufgenommen werden, um Lerneffekte zu verbessern und Synergien zwischen Kursanbietenden zu nutzen.

«Die grundsätzlichste Chance der Digitalisierung ist die Vernetzung von Wissen, sowie der Austausch. Die Handhabung eines PCs ist keine Raketenwissenschaft, doch es ist nicht sinnvoll, wenn an ganz vielen Stellen das Rad neu erfunden wird. Wir wollen, dass sich die Kursanbieter auf das Wesentliche konzentrieren können: Nämlich die Betreuung der Kursteilnehmenden», meint Schär zum Vorhaben.

Wer am digitalen Leben teilhaben will, muss nicht nur Zugang, sondern auch Wissen erlangen.

Um dieses Projekt umzusetzen wurde Nadine Leimbacher im August 2022 ins Boot geholt. Als ehemalige Primarschullehrerin, versierte Bedienerin und begnadete Malerin sorgt sie seither dafür, dass die Kursinhalte didaktisch sinnvoll, stylistisch ansprechend und praxisnahe nutzbar sind.

«Eine der grössten Herausforderungen ist es, ein klares Bild in diesem Bereich der Erwachsenenbildung zu erlangen. Es gibt viele Anbieter, viele Verbände und politische Gremien, aber viele dieser Parteien suchen nach eigenen Lösungen.», so Leimbacher. Die eigentliche Obhut und somit auch gesamtheitliche Verantwortung für diesen Bildungsbereich obliegt dem SBFI, dem EDK und Organisationen, die hierfür vom Bund subventioniert werden. «Wir sind aktiv daran, Seilschaften aufzugleisen, wo es Sinn ergibt und wo auch der Wille zur Zusammenarbeit gegeben ist», so Leimbacher.

Zu den ersten Piloten gehört auch das SAH Zentralschweiz, bei welchem ab Februar 2023 die Teilnehmenden für Computer-Grundkurse ergänzende eLearning-Inhalte als Hausaufgaben oder als Teil des Unterrichts im Selbststudium beziehen können. Wie erfolgreich die sogenannte wLw-Academy aber werden wird, wird nur die Zeit sagen können.

Politik und schweizweite Lösungsfindung

Im Verwaltungsdschungel der Schweiz ist es nicht immer einfach, einheitliche Lösungen zu finden. Das Sozialwesen ist hierbei einer der grösstmöglich segmentierten Bereiche. So gibt es Kantone, in welchen wLw Partnerschaften direkt mit der Regierung abschliessen konnte, in anderen unterstützt der Kanton aber nicht mal die Informationsverbreitung.

«Der Föderalismus erschwert nicht nur unser Wirken, sondern verhindert auch, dass bestimmte Dringlichkeiten auf den notwendigen Stufen wahrgenommen werden.» – Schär meint damit, dass gerade in Kantonen, bei denen eine grosse Gemeindeautonomität herrscht, das Risiko grösser ist, die digitale Grundausstattung als notwendige Arbeitsgrundlage zu erkennen. Dies schlägt sich dann im schlimmsten Fall nieder, in dem Stellensuchende keine Bewerbungen schreiben können und dadurch höhere Sozialaufwände als nötig entstünden. Schär meint aber auch klar, dass nicht nur für Arbeitslose gesorgt werden soll, sondern der Zugang zur digitalen Welt erst vieles Alltägliches ermöglicht. So seien beispielsweise auch Steuererklärungen nicht mehr auf dem Papier auszufüllen: Ausser man ist bereit, ohne wichtige Zusatzinformationen zu leben (bspw. bei den Abzügen für Berufsauslagen).

Schär im Nationalratssaal mit einigen Parlamentariern

«Auf nationaler Stufe kann dieses Problem nicht gelöst werden, da wir keine nationale Sozialhilfegesetze kennen. Jeder Kanton bestimmt frei, wie wer unterstützt wird; oder eben nicht. Zwar stehen den Kantonen die sogenannten SKOS-Richtlinien zur Verfügung, aber diese stellen die Grundspielregeln dar und sind nicht zwingend einzuhalten. «Gepaart mit dem sogenannten Ermessensspielraum ergeben sich dann Situationen, in denen eine Person nicht unterstützt wird, wenn man am Morgen die Sozialmitarbeitenden falsch anschaut.» – und dies ist gemäss Schär ein grosses Problem.

Die SKOS hat im Januar 2022 ein Merkblatt zur «Digitalen Grundversorgung» publiziert, in welchem darauf hingewiesen wird, dass nicht nur Lehrlinge und Studierende ausgestattet werden sollen, sondern alle Personen, die davon profitieren könnten: Beispielsweise Stellensuchende. Bis diese Empfehlungen aber Teil der SKOS-Richtlinien werden und danach auch in die kantonalen Gesetzgebungen verankert wird, wird es gemäss den Einschätzungen von Schär noch lange dauern.

«Es ist eigentlich schade, denn wir als Steuerzahlende zahlen die Zeche für all die eigentlich nicht notwendigen Auslagen – einfach, weil an bestimmten Stellen Verständnis und Pragmatismus fehlen.», so Schär. Er habe in den letzten Jahren auch versucht, dieses Thema über Parteien und National- und Ständeratsmitglieder einzubringen: Bisweilen ohne Erfolg.

Wir kämpfen weiter für die Ungesehenen und Ungehörten in unserer digitalen Schweiz: Die knapp 25% der Bevölkerung, die eben nicht einfach so einen Laptop beschaffen könnten – egal, ob die Politik unterstützt oder nicht. Wir verändern die Schweiz mit Taten statt Worten.

Tobias Schär, Gründer und Geschäftsleiter

Make or break: Oder wie’s gelingen soll

Mit mehreren Angestellten, bald mehreren Standorten und auch sonstigen Auslagen hat der Verein nun einen Punkt erreicht, an dem die Unkostenbeiträge der verteilten Laptops alleine nicht mehr zur Finanzierung ausreichen. Zu diesem Zweck werden in den kommenden Monate verschiedene Aktivitäten umgesetzt, die auch eine Mittelgenerierung ausserhalb der eigentlichen operativen Tätigkeit zulassen.

Schär: «Ich bin stolz darauf, dass wir an diesem Punkt stehen dürfen und den grössten Teil der Vereinsreserven selbst aufbauen konnten: Nicht durch Spenden, sondern durch das Verteilen von Laptops. Nun ist es aber an der Zeit, wie ein richtiges Hilfswerk zu denken – und da gehört das Thema des Fundraising halt auch dazu.»

Das wLw-Team an der Gewerbeausstellung muri2022

Die Arbeit des Vereines habe es verdient, auch von Verwaltungsorganen unterstützt und gefördert zu werden; Dieser Einstellung ist zumindest Schär. «Unsere Arbeit hat den Steuerzahlenden in der Schweiz sicherlich bereits schon viel gespart, die Umwelt mit Occassions-Laptops geschont und viele Perspektiven geschaffen. Wenn ich sehe, für was sonst alles Geld verprasst wird, dann sollte auch unsere saubere Arbeit vom Bund und den Kantonen unterstützt werden. Wir handeln im Interesse der Allgemeinheit», so Schär.

Ob dieser Plan funktionieren wird oder nicht, wird wohl in ein paar Jahren ersichtlich sein. Mit den aktuellen Vereinsreserven könnte der Verein (ohne weitere Einnahmen) sieben Monate bestehen. Ein eigentlich kurzer Zeithorizont, doch bei diesem Team eine Zeitspanne, in der viel erreicht werden kann.


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